Wikifolio – meine größte Enttäuschung

Früher waren wir mit Wikifolio begeistert und haben es als "genuinely social FinTech Projekt" bezeichnet. Jedoch leider ist Wikifolio kein echt soziales FinTech, sondern nur noch ein weiteres Versuch, kurzfristig auf Kosten von Privatinvestoren zu profitieren. Langfristig werden viele Investoren damit Verluste machen, wodurch auch die Reputation der Finanzbranche (noch einmal) stark beschädigt wird.
Wir erklären, woran das liegt. Dabei versuchen wir bei unserer Kritik möglichst sachlich zu bleiben. Denn können die Privatinvestoren von Wikifolio trotzdem stark profitieren: durch die Beobachtung und Trade-Analyse von erfolgreichen Portfoliomanagern.

Als ich über Wikifolio erfahren habe, war ich echt begeistert. Jeder kann Portfolio Manager werden und sogar eine ISIN für seinen Fond (bzw. Lang&Schwarz Zertifikat darauf) bekommen – das fand ich echt super für erfahrene Traders, die häufig viel qualifizierter sind, als arrogante und unfähige institutionelle Vermögensverwalter. Aber noch besser fand ich das Geschäftsmodell: das Wikifolio sollte (angeblich) nur dann profitieren, wenn die Investoren profitieren. Darüber hinaus die volle Offenlegung: man kann von jedem Trader die komplette Tradingsstatistik sehen…

Leider ist es nicht bzw. nicht die volle Wahrheit. Vor allem profitiert der Lange Schwanz Lang&Schwarz (Broker hinter Wikifolio) von dem Anlagevolumen (0.95% des investierten Kapitals p.a.) und darüber hinaus von teilweise unfairen bid-ask Spread! Zwar hat die Lang & Schwarz Aktiengesellschaft nur 5% Anteile von Wikifolio aber trotzdem kann L&S, im Prinzip, ziemlich viel bestimmen, da alles (und nicht nur Handel, sondern auch die Emission der Zertifikate) durch L&S abgewickelt wird!
Ob das so ist oder nicht weißt man nicht, aber cui bono?! Und selbst wenn es nicht der Fall ist, lässt sich auch das Modell von Wikifolio (high watermark) missbrauchen: High-Watermark Verfahren bedeutet nicht, dass das Wikifolio nur dann profitiert wenn die Investoren auch das tun, sondern lediglich: das Wikifolio profitiert, wenn das Portfolio einmal in der Gewinnzone war! Das heißt (und das sieht man im IREX Fall): Falls ein Portfolio erstmals 1000% hochschießt, wird Wikifolio sofort die fette Gebühr kassieren. Und wenn dieses Portfolio danach in die Verlustzone landet, geht das Wikifolio nicht an. Das erklärt sehr gut, warum Wikifolio solche Produkte wie IREX an den Kunden intensiv wirbt!

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Wenn der Sack Reis stehen bleibt... von Andreas Kern am 21.07.2017

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Auch wird nun klar, warum Wikifolio-Team unsere Vorschläge ignorierte, den Risikosimulator für die Wikifolios zu entwickeln. Das würde Wikifolio nichts kosten, man sollte nur eine Schnittstelle (API) zur Verfügung stellen für die Trade- und Performance Data, welche man aktuell sowieso (manuell) zugreifen kann. Aber solcher Simulator hätte sofort die höhen Risiken bei vielen Wikifolios entdeckt!

Was die marktungerechten Spreads anbetrifft, so hat damit bestimmt jeder Wikifolio-Trader konfrontiert. Selbst bei solchen hochliquiden Produkten wie DAX-ETF ist Wikifolio häufig etwas schlechter als z.B. DeGiro.

Spread auf DAX-ETF (DB X-TR DAX, LU0274211480): Wikifolio vs. DeGiro

Geld-Brief Spread auf DAX-ETF (DB X-TR DAX, LU0274211480)

Bei DeGiro (wahrscheinlich 1 zu 1 Spread auf XETRA)

Und bei Wikifolio

(sicherheitshalber nochmal bei wikifolio nach einigen Minuten um festzustellen, dass es kein Zufall bzw. Ausreißer war)

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Auch m.E. kommen die technischen Probleme bei Wikifolio relativ häufig vor.
Wikifolio: Order kann nicht plaziert werden

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Die Historie der Wikifolio Störungen ist u.a. hier gut protokolliert.

Andere irritierende Aspekte, die zwar nicht so kritisch sind, aber trotzdem unsere Enttäuschung beitragen sind wie folgt:
1. Wikifolio hat mal die Zertifikate von Commerzbank (z.B. DE000ETC0670, DE000ETC0597) ohne Vorwarnung aus bestehenden Wikifolios rausgeschmiessen.
2. Wikifolio international ist ewiges beta
3. Überprüfung/Emission von publizierten Wikifolios dauert sehr lang.

Aber, wie gesagt, zwar ist Wikifolio kein genuinely social Projekt, können die Privatanleger davon trotzdem profitieren. Vor allem hat Wikifolio für die Welt solche Traders wie Einstein entdeckt (er ist nicht der Einzelne mit solcher Performance, z.B. ist der Trader HBecker ebenso gut).

Also, liebe Privatanleger lässt Euch das Wikifolio Geschäftsmodell nicht andrehen! Wahrscheinlich, hofft Ihr darauf, Eures Geld abzugeben und danach die fetten Gewinne zu kassieren ohne was machen zu müssen. Schön wäre es! Zwar gibt es die guten langfristig orientierten und skalierbaren Wikifolios, ist es nicht so einfach, diese zu identifizieren. Hauptproblem dabei ist die Skalierbarkeit, viele Vermögensverwalter, die aktuell eine gute Performance zeigen, erreichen diese mit den Nebenwerten. D.h., wenn das Kapital weiterzufließt, werden die bald oder spät den Markt gegen sich selbst bewegen. Genau deswegen macht z.B. der Einstein sein Wikifolio Platintrader 1000% Leidenschaft nicht investierbar. Und es lohnt sich anzuschauen, wie drastisch der 2stein zurückbleibt mit seinem Versuch den Einstein nachzumachen.
Und selbst wenn die Grenze der Skalierbarkeit nicht so schnell erreicht wird, ist die vergangene Performance keine Garantie für Zukunft. Ob man die Performance wirklich systematisch oder durch Zufall erreicht hat – das kann ich (in manchen Fällen) feststellen. Aber Ihr – kaum, es sei denn, Ihr seid bereit, die Statistik ziemlich tief zu lernen. Einfacher wäre aber zu beobachten, worin die guten Wikifolio Trader aktuell investieren. Und das bei eigenen Anlage-Entscheidungen berücksichtigen (jedoch nicht blind kopieren). Das funktioniert besonders gut, falls man langfristig investiert und nicht zu häufig handelt. Natürlich bedeutet das etwas Arbeit, aber es kann sich sehr gut lohnen im Vergleich damit, was wäre, wenn Ihr bloß die Zertifikate auf Wikifolio kaufen würden. Die Gebühren, die Wikifolio nimmt (0.95% p.a. vom Kapital + Performancefee) sind gar nicht klein, wie die folgende Grafik zeigt
Wenn es um €1000 geht, lohnt sich der Aufwand wahrscheinlich nicht, aber wenn Sie €100.000 investieren, ist es wohl nicht unwichtig, ob man in 30 Jahren €400.000 oder €600.000 bekommt.
Und machen Sie sich keine Sorgen, dass es die besten Traders demotivieren wird. Einstein, HBecker und viele andere (u.a. ich selbst) machen es zum Spaß. Viel kann ein Portfolio Manager mit Wikifolio sowieso nicht verdienen, um dadurch langfristig zu leben, braucht man mindestens zehn Mio. Euro under management.
Und last but not least: Wikifolio Financial Technologies existiert seit 2012. Zufälligerweise befinden sich die Aktienmärkte seit 2012 in extrem starkem Bullentrend. Aber bald oder spät (und eher bald) kommen die Bären zurück! Erinnert Euch immer daran wenn Ihr überlegt, in ein oder anderes Wikifolio langfristig zu investieren.

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Author: Vasily Nekrasov

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